Malakka Strait
Ich kehrte dem Land meiner Träume spontan den Rücken und segelte nach Malaysia. Unterwegs befreite ich mein Unterwasserschiff von dem gehörigen Bewuchs, der sich am Schiffsrumpf in dem Dreckloch des Yachthafens angeheftet hatte. In Langkawi angekommen, erledigte ich die Formalitäten der Einklarierung, stopfte den Kahn mit Diesel und Proviant voll und war nach ein paar Tagen auch schon wieder abfahrbereit. Ein deutscher Segler hielt mich für verrückt, weil ich bei der Schlechtwetterlage lossegeln wollte. Wenn ich die Ängstlichkeit manch anderer Segler hätte, wäre ich heute wahrscheinlich noch im Mittelmeer.
Mittags segelte ich bei bestem Wetter los und erreichte Coral Island bei Sonnenuntergang. Aber schon am nächsten Morgen herrschte Weltuntergangsstimmung. Jeder andere Segler wäre jetzt an der Muring hängen geblieben, aber nicht der Gang. Ich besitze ein hochseetüchtiges Segelboot, welches mit fast allen Wetterlagen zurechtkommen muss. Also warf ich die Muring-Leine los und stach in See. Kaum war ich unterwegs, zischten die Blitze um mich herum nur so und es blies in Böen mit zehn. Da ich aber alle Segelklamotten schon längst geborgen hatte, konnte mir das wilde Getue nichts anhaben. In der Ruhe liegt die Kraft. Bald war der Sturm verzogen und so setzte ich wieder die Segel obwohl das Wetter stündlich wechselte und es den ganzen Tag so weiterging. Segel rauf, Segel runter, bis ich in Penang war. Dort angekommen legte ich mich in eine wunderschöne Nord-Westbucht. Nach zwei Tagen zog ich morgens um 5 Uhr den Anker hoch und verließ das kleine Paradies wieder. Kaum um die Ecke am Leuchtturm vorbei, hing ich wieder mal in einem Fischernetz. Wenn mich niemand auf der Welt aus der Fassung bringen kann, Fischer tun dies aber zu Genüge. Die Malakka Strait sollte aber noch zum richtigen Horror für mich werden.
Tagsüber blies der Wind aus Süd-West und so fand ich für den Abend keinen ruhigen Ankerplatz an der Ostseite der Malakka Strait. Also segelte ich durch, da der ideale Platz für die nächste Nacht zu früh am Tage kam und zu späterer Stunde nichts Geeignetes zu finden war. Wegen der vielen Schleppnetz-Fischer und der vielbefahrenen Wasserstraße musste ich nachts höllisch aufpassen. In der zweiten Nacht ohne Schlaf kam ich gegen Mitternacht bei Port Klang an, dem Haupthafen von Kuala Lumpur. Ich hatte das Gefühl, tausende Großschiffe wollten mich in Grund und Boden stampfen. Mein AIS-System gab ununterbrochen Alarm von Schiffen, die sich auf Kollisionskurs befanden. Schlussendlich ging mir das System dermaßen auf die Nerven und ich schaltete den Alarm aus. Es war stockfinstere Nacht und jedes Schiff sah aus wie ein leuchtender Christbaum. Viele lagen auf Reede, Anker vor Anker und warteten auf den Lotsen für die Hafeneinfahrt. Andere wiederum waren in Fahrt und hatten vergessen ihre Totalbeleuchtung auszuschalten, die sie vor Anker hatten, denn ein Schiff unter Fahrt hat nur die Navigationslichter zu führen. Als ich nach einer Stunde Zickzackfahrt die Einfahrtsstraße des Hafens gequert hatte, war ich maximal erschöpft und schlief mich erst mal aus.
In Port Dickson klarierte ich ein und gleich wieder aus. Da ich nicht in dem stinkenden Haupthafen vor Anker gehen wollte, hatte ich mein Boot dicht bei einer nahegelegenen Insel verankert. Nachts kam Sturm auf, wodurch mein Boot auf Drift ging. Als ich am Echolot 20 Meter ablesen konnte, ließ ich die kompletten 50 Meter Kette ausrauschen mit einem 10 Kilogramm schweren Klarier-Gewicht daran. An Schlaf war natürlich nicht mehr zu denken und so saß ich bis zum Morgengrauen im Cockpit und ging dann Anker auf. Da am Abend wieder heftiger Wind aus Süd-West blies, fand ich wieder keine ruhige Ecke für die Nacht und segelte die Nacht erneut durch. Gegen 3 Uhr scherte ein Schlepp-Verband aus dem Fahrwasser aus und kam direkt auf mich zugesteuert. Ich wich nach Backbord aus und ließ den Schlepper mit seinem Schleppkahn passieren. Als ich am Heck des riesigen Leiters war und wieder rüber zur Wasserstraße den Kurs ändern wollte, sah ich plötzlich, dass noch ein zweiter dicht hinterherkam. Der erste Schlepper mit drei blauen Lichtern übereinander hatte die korrekte Lichterführung. Der ihm folgende aber nicht, somit hätte er auch keinen Kahn im Schlepp haben sollen. Ich steuerte also hinter seinem Heck hinüber zur Wasserstraße. Im letzten Moment konnte ich das vom Rücklicht des vorderen Schiffes angeleuchtete Schleppseil erkennen und riss das Ruder gerade noch rechtzeitig nach Backbord herum. Ich glaube, die Entfernung vom Schleppseil zum Mast hatte keinen Meter mehr Distanz. Der Adrenalin-Schock tat daraufhin seine Wirkung und der Schlaf hatte sich spontan verflüchtigt. Für die kommende Nacht aber, das schwor ich mir, werde ich mir einen vernünftigen Ankerplatz aussuchen.
Gegen 16 Uhr steuerte ich auf eine Landnase zu, hinter der sich laut Karte eine kleine Bucht verbergen sollte. Eine Stunde später ging es aber urplötzlich nicht mehr weiter. Wieder ein Fischernetz! Es war an der Oberfläche ausgelegt, somit hing ich richtig fest und fluchte, dass sich das Wasser kräuselte. Ich riss die Segel herunter und sprang ins blaue Nass, aber alle Versuche waren vergebens, da noch gehörig Strömung ins Netz schob. Die Fischer, die sich in der Nähe an anderen Netzen zu schaffen machten, scherten sich aber nichts um meine Probleme damit. Wutentbrannt holte ich das scharfe Messer hervor und zerschnitt kurzerhand das ganze Netz. Als ich endlich frei war, wäre ich um Haaresbreite in das nächste geraten.
Der Übernachtungsplatz war wieder mal gestrichen und so steuerte ich mit voller Geschwindigkeit der Wasserstraße entgegen. Kurz bevor es dunkel wurde, verfolgten mich auf einmal zwei Boote. Es waren die Fischer, die harte Devisen für den angerichteten Schaden haben wollten. Anfänglich war ich auf die Burschen so sauer, dass ich ihnen keinen Pfennig geben wollte. Als ich aber sah, dass die Lage eskalierte und ich in der Minderheit war, reichte ich ihnen 100 Malaysia-Schilling, womit sie sich aber nicht zufriedengeben wollten. Strikt lehnte ich höhere Bezahlung ab, aber als eines der Holzboote an Backbord anlegen wollte, riss ich das Ruder herum und gab Vollgas. In einer engen 270 Grad Kurve schoss mein Bug auf die Holzboote zu und sie suchten schließlich das Weite. Wieder war nun eine Nachtfahrt angesagt, aber da ich mich am Rande der Wasserstraße bewegte und dort keine Schleppverbände unterwegs waren, konnte ich doch noch ein paar Stunden Schlaf finden.
Beim Nord-Ost-Passat nach Thailand zu segeln ist ein Kinderspiel, da man in Lee des Festlandes genügend Ankerplätze anlaufen kann. Aber um diese Zeit, zu der schon der Süd-Wester bläst, findet man an der malaysischen Küste der Malakka Strait nur selten einen geeigneten Ort. Endlich am Südzipfel von Malaysia angekommen, bewegte ich die Yacht die kommenden drei Tage nicht mehr von der Stelle.